Auf alles vorbereitet: Wie präventive Hilfe Leben rettet
Klimaextreme sind eine der Hauptursachen für Ernährungsunsicherheit. Häufigere und heftigere Überschwemmungen, Dürren und Stürme machen bis zu 90 Prozent der weltweiten Gefahren aus. Gleichzeitig überschneidet sich die Klimakrise mit anderen Ursachen von Hunger, wie Konflikte und wirtschaftlichem Abschwung, und verschärft diese. Die traditionellen Systeme der humanitären Hilfe müssen von der Krisenbewältigung zu einem vorausschauenden Risikomanagement übergehen. Dieses Ziel kann zum Beispiel mit dem von der DEZA mitbegründeten «Anticipatory Action»-Programm des Welternährungsprogramms (WFP) erreicht werden.

Als die zentralsomalische Stadt Beledweyne von flutartigen Überschwemmungen heimgesucht wird, sind Bashir Abdi und seine Familie gut vorbereitet. Sie haben dank des WFP-Programms bereits im Vorfeld wichtige Mittel und Informationen erhalten. «Die Warnungen waren lebensrettend», sagt Bashir Abdi. Er ist einer der 700 000 Menschen in Somalia, die aufgrund der tödlichen Überschwemmungen aus ihren Häusern flüchten mussten. «Wir wurden über alles informiert: was wir tun und wo wir hingehen sollen, wie wir die wichtigsten Haushaltsgüter beschaffen können. Und die Bargeldgutscheine waren sehr nützlich.»
Akteure der humanitären Hilfe, Regierungen und Gemeinschaften können dank des WFP-Programms frühzeitig gezielte Massnahmen ergreifen, um drohende humanitäre Auswirkungen zu verhindern oder abzufedern, bevor sie ihre volle Tragweite entwickeln. Dieser proaktive Ansatz nutzt die Möglichkeiten von Frühwarnsystemen und gibt den Gemeinschaften und Regierungen die Möglichkeit, auf Krisen zu reagieren, bevor sie überhaupt eintreten. Damit verändert er die humanitäre Hilfe. 2023 erreichte die Massnahmen des WFP-Programms 4,1 Millionen Menschen in 36 Ländern. Dank der vorab bereitgestellten Finanzmitteln von 61,5 Millionen US-Dollar – darunter auch Beiträge der Schweizer Regierung – konnten die Auswirkungen von Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürmen und anderen Katastrophen erheblich gemildert werden.
2023 war ein Rekordjahr der Klimaextreme. Für Millionen von Menschen brachte dies eine erhöhte Ernährungsunsicherheit mit sich. In dieser Situation boten die proaktiven und auf die Menschenwürde ausgerichteten Massnahmen des WFP bei der Katastrophenbewältigung einen entscheidenden Rettungsanker, wie die Beispiele in Asien, Afrika und Lateinamerika gezeigt haben. Als zu Beginn des Jahres die Prognosen für die El-Niño-Saison 2023 vorlagen, handelte das WFP umgehend: In Erwartung heftiger Regenfälle wurden am Horn von Afrika Massnahmen für eine lokale präventive Fluthilfe rasch umgesetzt. So wurden in Somalia, nur wenige Tage bevor die Überschwemmungen zahlreiche Gebiete verwüsteten, 442 209 Menschen mit Frühwarnmeldungen und Bargeld versorgt. In ähnlicher Weise reagierte das WFP im südlichen Afrika auf El-Niño-Prognosen und lokale Daten: Es stellte mit seinem Programm in Lesotho, Madagaskar, Mosambik und Simbabwe 14 Millionen US-Dollar bereit, um 1,25 Millionen Menschen bei der Vorbereitung auf die zu erwartende Dürre zu helfen.

Minderung der Hochwasserfolgen in Bangladesch
In Bangladesch können die Monsunhochwasser verheerende Folgen für die Gemeinschaften haben. Die präventive Hilfe war hier sehr wertvoll. Seit 2015 arbeitet das WFP mit der Regierung von Bangladesch, dem bangladeschischen Roten Halbmond (BDRCS) und dem Klimazentrum der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (Red Cross Red Crescent Climate Center, RCCC) zusammen, um vorsorgliche Hilfsmassnahmen für schwere Wetterkatastrophen zu entwickeln und umzusetzen. Bereits lange vor Beginn der Monsunzeit vereinbaren das WFP und seine Partner die Hilfsmassnahmen. Danach verfolgen sie gemeinsam die Hochwasser- und Wirbelsturmvorhersagen und bereiten sich darauf vor, bereits Tage vor einem Wirbelsturm oder einer Überschwemmung Bargeldtransfers vorzunehmen, Frühwarnungen abzugeben und vorsorglich bereitgestellte Hilfsgüter zu verteilen.
Als gutes Beispiel für den Erfolg dieses Programms kann der Juli 2020 dienen: Das WFP und seine Partner handelten in Erwartung einer der schlimmsten Überschwemmungen unverzüglich und schickten vier Tage vor dem Höhepunkt des Hochwassers jedem gefährdeten Haushalt entlang des Jamuna-Flusses elektronisch 4500 Bangladeschische Taka (BDT). Diese Bargeldhilfe, die etwa 53 US-Dollar und dem Lebensmittelbedarf für zwei Wochen entspricht, erreichte rund 145 000 Menschen.

Eine unabhängige Evaluation ergab, dass Haushalte, die Bargeldtransfers erhalten haben, während des Hochwassers mit einer um 36 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit einen Tag lang ohne Nahrung auskommen mussten. Drei Monate später gaben diese Haushalte an, über mehr Nahrungsmittel, ein besseres Wohlbefinden, einen geringeren Vermögensverlust und ein höheres Einkommenspotenzial zu verfügen. Sie trafen auch umfangreichere Vorkehrungen, wie die Evakuierung von Familienmitgliedern und Nutztieren, wodurch sie weniger Verluste zu beklagen hatten.
War diese Hilfe am Ende sogar kostengünstiger? Nach Angaben des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UNO (OCHA) wurden mit dem WFP-Programm mehr Menschen zu halb so hohen Pro-Kopf-Kosten (13 US-Dollar gegenüber 26 US-Dollar) und fast 100 Tage schneller erreicht als mit den Soforthilfemitteln, die vom Zentralen Nothilfefonds (CERF) finanziert und nach den Überschwemmungen im Jahr 2019 in Bangladesch ausbezahlt wurden. Danke der frühzeitigen Krisenerkennung kann mit dem gleichen Geldbetrag mehr Menschen schneller geholfen werden.
Dennoch gibt es weiterhin viele Herausforderungen. Genaue und rechtzeitige Vorhersagen sind entscheidend, ohne Frühwarnsysteme können sie aber nur schwer erstellt werden. Auch die Koordination mit den lokalen Behörden und die Einbindung der Gemeinschaften erfordern kontinuierlich Aufmerksamkeit und Ressourcen. Trotz dieser Herausforderungen hat die Partnerschaft zwischen dem WFP, den regionalen Klimazentren, den lokalen und nationalen Regierungen und den gemeinschaftlichen Organisationen entscheidend dazu beigetragen, die Wirksamkeit der präventiven Hilfe zu gewährleisten.
Gemeinsam zum Erfolg
Das WFP arbeitet mit UNO-Organisationen, lokalen Regierungen, dem Privatsektor und NGO zusammen, um die Reichweite und die Wirkung von vorausschauender Hilfe und Frühwarnsystemen zu erhöhen. Die kürzlich veröffentlichte FAO-WFP Anticipatory Action Strategy (en) zeigt konkret auf, wie diese Partnerschaften die Reichweite der humanitären Hilfe erhöhen können. Die Zusammenarbeit ergänzt Programme in den Bereichen Notfallmassnahmen, Stärkung von Resilienz sowie sozialer Schutz und ermöglicht kosteneffiziente integrale Risikomanagementansätze für ein sich veränderndes Klima.
Nach wie vor gibt es Herausforderungen zu bewältigen. Dennoch zeigen die gemeinsamen Bemühungen des WFP und seiner Partner – darunter die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und die Partnerregierungen –, dass präventive und vorausschauende Hilfe Auswirkungen von vorhersehbaren Krisen verringert und den Verlust und die Beeinträchtigung von Menschenleben, Lebensgrundlagen und Ernährungssystemen verhindert oder minimiert. Mit kontinuierlichen Investitionen und nachhaltigen Partnerschaften kann die präventive Hilfe einen Beitrag zur künftigen Gestaltung der humanitären Hilfe und der Rettung von mehr Menschenleben leisten.
Welternährungsprogramm
Das Welternährungsprogramm (WFP) ist einer der wichtigsten multilateralen Partner der Schweiz. Als weltweit grösste humanitäre Organisation leistete sie 2023 Nahrungsmittelhilfe für über 152 Millionen Menschen. Mit ihrem Beitrag zum «Anticipatory Action»-Programm des WFP unterstützt und fördert die Schweiz innovative Ansätze, die humanitäre Massnahmen wirksamer machen, mehr Menschenleben retten, die lokalen Kapazitäten stärken und die Auswirkungen des Klimawandels einbeziehen.
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