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MitteilungVeröffentlicht am 19. August 2022

Endlich das Nötigste versichert

In Bolivien arbeitet ein grosser Teil der Bevölkerung im informellen Sektor und hat kaum oder überhaupt keinen Zugang zu Kranken- und Invalidenversicherungen. Schon ein kleiner Unfall kann zum Absturz in die Armut führen. Um die Situation zu entschärfen ermutigt die DEZA den Privatsektor, erschwingliche integrative und landwirtschaftliche Versicherungsprodukte zu entwickeln.

An einem Workshop sensibilisiert eine Versicherungsfachfrau die Dorfbevölkerung für Themen wie Kredite, Ersparnisse, Budgeterstellung oder Versicherungen.

Autorin: Zélie Schaller

«Da wir oft in der Höhe arbeiten, sind wir besonders unfallgefährdet. Überdies können wir uns mit unseren Werkzeugen verletzen. In den Medien haben wir von einer Versicherung gehört, die den Lebensunterhalt von Waisenkindern sichert, deren Eltern auf dem Bau arbeiteten und bei einem Arbeitsunfall gestorben sind.» Sonia Quispe Ventura ist Mitglied des Vereins bolivianischer Maurerinnen. Über das Fernsehen wurde ihr bewusst, welche Vorteile eine Lebens- und Unfallversicherung hat.

Versicherungen haben in ihrem Land einen geringen Stellenwert. Sie machen bloss 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus, die Hälfte des lateinamerikanischen Durchschnitts – mit gravierenden Folgen für die Armut und die Wirtschaft. Unfälle, Erkrankungen, Ausfälle oder Katastrophen verstärken die Unsicherheit. Mit einer Armutsquote von 24,6 Prozent ist mehr als ein Drittel der bolivianischen Bevölkerung davon betroffen. Die Covid-19-Krise hat die Situation zusätzlich verschärft, zumal hohe 69 Prozent der Wirtschaftsleistung durch informelle Beschäftigung erbracht wird, welche an sich auf wackligen Füssen steht. Hinzu kommt die Klimaerwärmung, die dem Ackerbau zu schaffen macht und die Ernährungssicherung bedroht.

Kaum kreditwürdig und risikobehaftet

Um die Einkommenseinbussen aufgrund von Klimawandel, gesundheitlichen Problemen, Unfällen oder Katastrophen einzudämmen und die Armut zu reduzieren, ermutigt die DEZA den Privatsektor, integrative und landwirtschaftliche Versicherungsprodukte zu entwickeln. Umgesetzt wird das Projekt von der Stiftung Profin, welche in Bolivien seit über zwanzig Jahren die finanzielle Eingliederung fördert.

Inklusive Versicherungen eignen sich besonders für jene Bevölkerungsteile, welche von den üblichen Finanzkreisläufen ausgeschlossen und kaum kreditwürdig sind und deshalb als risikobehaftet gelten. Für Geringverdiener hat das Projekt 20 Produkte zur Deckung des Todes- und Unfallrisikos entwickelt, aber etwa auch für medizinische Versorgung und Spitalaufenthalte. «Die Jahresprämien betragen je nach Deckung umgerechnet zwischen 1,40 bis 65,40 Franken», sagt Projektleiter José Luis Pereira Ossio vom DEZA-Büro in Bolivien.

Zukunftsträchtiges Versicherungsmodell

Eine der Optionen richtet sich an Frauen. Sie beinhaltet zwei gynäkologische Konsultationen pro Jahr, einen Pap-Test zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs und ein Diagnosegespräch. Ebenfalls für Frauen, aber auch für Jugendliche und Kinder werden Workshops zur finanziellen Bildung und Sensibilisierung für Versicherungsfragen angeboten, mit Themen wie Kredite, Ersparnisse, Budgeterstellung oder Versicherungen. Dabei werden Funktionsweise und Grundbegriffe wie Police, Prämie, Vergütung oder Versicherungswert erklärt.

Für die Gesamtbevölkerung wurde ein Online-Programm entwickelt, das die Grundlagen des Versicherungswesens vermittelt. Gleichzeitig wurden in den sozialen Netzwerken, aber auch in herkömmlichen Medien und in öffentlichen Verkehrsmitteln Informationskampagnen lanciert. «Die Leute sollen verstehen, dass eine Versicherung dazu beitragen kann, ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Familie und ihre Einkommensquelle zu schützen», erklärt José Luis Pereira Ossio.

Von diesen Vorteilen ist nicht nur Sonia Quispe Ventura, sondern auch Yanette Marisol Durán Chipana überzeugt. Mit feuchten Augen erzählt die Mutter, dass sie für ihre verstorbenen Eltern viel Geld ausgeben musste: «Das wenig Ersparte haben wir alles ausgegeben. Unsere finanzielle Situation war miserabel, ganz abgesehen davon, dass wir sonst schon unter der Situation litten. Gerettet hat uns letztlich die Versicherung.» Rund 53'000 Personen haben wie Yanette Marisol Durán Chipana seit Projektbeginn 2017 eine Lebensversicherung abgeschlossen. Weil noch dieses Jahr eine spezielle Regelung für inklusive Versicherungen eingeführt werden soll, dürfte die Anzahl Policen künftig deutlich ansteigen.

Wichtige Überzeugungsarbeit

Wie aber konnten die Versicherungsgesellschaften davon überzeugt werden, Leistungen an eine Bevölkerung mit geringem Einkommen auszurichten? «Wir haben den Verantwortlichen an verschiedenen Veranstaltungen die Bedeutung und das Potenzial solcher Produkte aufgezeigt. Das Interesse stieg und wir konnten Hand in Hand an deren Entwicklung arbeiten», antwortet José Luis Pereira Ossio. «Wir betreuten die Unternehmen auch in Sachen Kommunikation, um diese gezielt auf Entwicklung und sozialen Wandel auszurichten.»

Neben Versicherungen werden auch landwirtschaftliche Ausbildungskurse – hier bezüglich Weizenanbau – angeboten.

Ein weiteres Projekt betrifft die Ernährungssicherung der Familien. Dazu wurden Versicherungsprodukte für die Landwirtschaft entwickelt. Angeboten wird etwa eine Viehversicherung für Milchkühe. Sie vergütet beim Tod des Tiers bis zu 80 Prozent des Marktwerts. Weitere Versicherungen betreffen den Soja- und Weizenanbau, die beide stark unter dem Klimawandel leiden. Sie decken Verluste aufgrund von Überschwemmungen oder Trockenheit: Ist eine Parzelle versichert, wird sie alle zehn Tage via Satellit überwacht, um Anomalien festzustellen. Die Entschädigung erfolgt, sobald die Wasserbilanz tiefer oder höher ausfällt als von der Versicherung im Vorfeld festgelegt. Dank diesem Projekt wurden 10'000 Hektaren Kulturland versichert, was einer Fläche von 100 Quadratkilometern entspricht.

PREMIERE: Covid-19-Deckung

Im Rahmen der Corona-Pandemie gelang es der bolivianischen Stiftung Profin, erstmals mit einer Versicherungsgesellschaft die Deckung von Covid-19-Todesfällen auszuhandeln. Diese Leistung ist nun in der Lebensversicherung für Geringverdienende eingeschlossen. Rund 10'000 Personen haben eine solche Police abgeschlossen. Bereits sind weitere Versicherungsgesellschaften dem Beispiel gefolgt. Zudem hat Profin mit den Banken das sogenannte Mikrofactoring eingerichtet, ebenfalls im Rahmen der von der DEZA lancierten Projekte zur finanziellen Eingliederung. So kann beispielsweise eine Kleinbäuerin ihrer Bank eine Rechnung weiterleiten, welche den geschuldeten Betrag minus eine bescheidene Kommission vorschiesst und der Bäuerin so Bargeld zur Verfügung stellt. Microfactoring hat sich während der Pandemie als wirksames Instrument erwiesen: Die Landwirtschaftsbetriebe blieben liquide und konnten insbesondere die Löhne ihres Personals weiter auszahlen.

Stiftung Profin

Kontakt

Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA)
Eichenweg 5
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