Kompensieren für den Klimaschutz: Chance oder Illusion?
Der Bund und viele Schweizer Unternehmen wollen eigene Treibhausgas-Emissionen in Partnerländern kompensieren. Entwicklungsprojekte könnten dabei helfen. Doch seit bekannt wurde, dass CO2-Zertifikate teils viel zu hohe Einsparungen ausweisen, ist die Skepsis gegenüber Klimakompensationen gewachsen.

Autor: Samuel Schlaefli
Wer sein ökologisches Bewusstsein bei Flugreisen beruhigen will, kompensiert gewöhnlich die Flugemissionen, indem sie oder er CO2-Zertifikate kauft. Diese bescheinigen, dass irgendwo, oft im Globalen Süden, der eigene Beitrag zur Klimakrise kompensiert wird. Umweltschützer und Entwicklungsexpertinnen hatten solche Kompensationen schon lange als modernen «Ablasshandel» und «Greenwashing» kritisiert.
Ihre Kritik wurde Anfang Jahr durch Enthüllungen des «Guardian» und «Der Zeit» bestärkt: Diese zeigen, dass CO2-Einsparungen infolge von Waldschutzprojekten in Südamerika, die in Form von Zertifikaten weltweit an Unternehmen und Private verkauft wurden, für den Klimaschutz meist wertlos waren.
Der Klimakompensations-Skandal
Ein Grossteil der CO2-Zertifikate, die auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt gehandelt werden, tragen nicht zum Klimaschutz bei. Zu diesem Schluss kamen der britische «Guardian» und «Die Zeit» nach einer monatelangen Recherche. Im Fokus standen Waldschutzprojekte in Südamerika. «Verra», das weltweit grösste Unternehmen für Klimazertifizierungen und Kompensationsstandards, hatte durch Berechnungen im Rahmen seines Standards (Verified Carbon Standard, VCS) die tatsächlichen CO2-Einsparungen stark übertrieben. 90 Prozent der ausgestellten Zertifikate für den Waldschutz sollen keine realen CO2-Einsparungen bewirkt haben. Auch Schweizer Anbieter von Kompensationen, darunter «south pole» und «my climate», haben Zertifikate mit dem «VCS»-Standard an Unternehmen in der Schweiz verkauft. Diese konnten ihre Produkte darauf basierend als «klimaneutral» ausweisen. «My climate» ersetzte dieses Label letztes Jahr mit einem «Impact»-Label, über das ab 2023 keine Kompensationen mehr verkauft, sondern lediglich CO2-Einsparungen in Partnerländern ausgewiesen werden.
Wetten auf die Zukunft
«Dieser Skandal hat mich überhaupt nicht überrascht», sagt David Knecht, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit bei der Schweizer NGO «Fastenaktion». «Die Regeln sind anfällig für Fehlschätzungen. Zudem habe ich mich schon immer gefragt, wie man glaubhaft machen kann, dass ein Wald, den man heute schützt, über 50 oder 100 Jahre bestehen bleibt und somit permanent eine bestimmte Menge CO2 einsparen hilft.» Knecht ist kein grundsätzlicher Gegner von Klimakompensationen, schliesslich verkauft auch Fastenaktion solche. «Für uns war vor allem der Finanzierungsaspekt interessant. Wir erkannten eine neue Möglichkeit, um unser Engagement zugunsten benachteiligter Menschen im Globalen Süden zu finanzieren.»
Für Knecht gibt es jedoch einen grossen Unterschied zwischen Kompensationen für Emissionen, die potenziell in Zukunft eingespart werden, wie im Fall des Schutzes von Regenwäldern. Und solchen, die sich auf in der Vergangenheit tatsächlich verhinderten Emissionen beziehen, zum Beispiel weil Bäume nicht gefällt wurden, weil Menschen mit Alternativen zum Kochen versorgt wurden.
Solche Alternativen unterstützt Fastenaktion in der ländlichen Region von Kitui in Kenia seit 2013. Gemeinsam mit der lokalen Caritas wurden über 17'000 offene Feuerstellen mit Kochöfen ersetzt, die effektiver sind und nur halb so viel Holz benötigen. Dadurch entsteht weniger CO2 und die Menschen werden besser vor gesundheitsschädlichem Rauch geschützt. Fastenaktion verkauft die eingesparten CO2-Emissionen in Form von Zertifikaten über die Plattform «klima-kollekte.de» an Private, Unternehmen und Kirchgemeinden. Laut Knecht wurden bis heute 23'515 Öfen gebaut. Bis Ende 2020 konnten dadurch 71'413 Tonnen CO2 eingespart und Zertifikate im Wert von rund 970'000 Franken verkauft werden. Basis für die Zertifizierung ist der «Gold Standard», der die hohe Qualität der CO2-Einsparungen ausweisen soll und der sich auf externe Audits vor Ort bezieht. «Ein Label, mit welchem Unternehmen sich und ihre Produkte als «klimaneutral» bezeichnen konnten, gab es bei der Klimakollekte aber nie – das ist illusorisch», betont Knecht.
Bilaterale Verträge für Klimakompensation
Nicht nur Unternehmen und Private nutzen Klimakompensationen, um ihren CO2-Fussabdruck zu minimieren, sondern auch Staaten. Die Schweiz will nach geltendem CO2-Gesetz bis zu 25 Prozent der nationalen Emissionen im Ausland kompensieren. Seit 2020 hat sie deshalb mit elf Staaten bilaterale Vereinbarungen für Klimakompensation abgeschlossen. Unter dem Pariser Klimaabkommen sind solche in Artikel 6.2 vorgesehen, um Partnerländer zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien, Energieeffizienz, der Elektromobilität, Landwirtschaft oder Abfallwirtschaft zu unterstützen. Explizit ausgeschlossen hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU), das für diese Verträge zuständig ist, Projekte zur biologischen Speicherung von CO2 und gegen die Reduktion der Entwaldung sowie gegen die Degradierung von Wäldern, also die Art von Projekten, die seit den Enthüllungen Anfang Jahr stark in Verruf geraten sind.
Seit dem Klimaabkommen von Paris sind jedoch neu nicht nur Industrieländer, sondern auch Staaten im Globalen Süden dazu verpflichtet, ihre CO2-Emissionen kontinuierlich zu reduzieren, um das 1.5°C-Ziel von Paris zu erreichen. Wenn nun aber Klimaschutzmassnahmen in Malawi oder Ghana in Form von Klimazertifikaten der Schweiz angerechnet werden, so können diese Länder die CO2-Reduktionen nicht mehr als eigene Anstrengungen ausweisen, denn Doppelanrechnungen sind verboten. Die Projekte der Schweiz müssen also klar von den Plänen der Partnerländer zur Treibhausgasreduktion abgegrenzt und zusätzlich sein. Das ist nicht immer einfach.
Der Bund wollte Georgien dabei unterstützen, öffentliche Gebäude energieeffizient zu sanieren und sich die Einsparungen selbst anrechnen lassen. Das «New Climate Institute», eine nicht kommerzielle Organisation für Klimapolitikberatung, kritisierte daraufhin, dass solche Einsparungen bereits in Vereinbarungen mit der EU und Georgiens eigenen Plänen für Einsparungen ausgewiesen werden. Zudem würden finanzstarke Industrieländer mit solchen Vereinbarungen weniger entwickelten Staaten die einfachsten Möglichkeiten wegschnappen, ihre eigenen Klimaziele im Rahmen der internationalen Abkommen zu erreichen.
Finanzflüsse auseinanderhalten
Von den elf Staaten, mit welchen das BAFU bilaterale Verträge für Klimakompensationen abgeschlossen hat, gehören aktuell zwei (Malawi und Georgien) zu den DEZA-Schwerpunktländern. «Wir sind bezüglich Kompensationen noch eher zögerlich und vorsichtig», sagt André Mueller, DEZA-Programmverantwortlicher in der Sektion Klima und Umwelt. Zwar böten diese eine interessante Finanzierungsquelle für nicht selbsttragende Projekte, welche Treibhausgasemissionen messbar reduzieren. «Es ist aber in der Praxis oft schwierig, die Finanzströme aus dem Kauf von CO2-Zertifikaten zur Reduktion der nationalen Treibhausgasemissionen, zu denen sich die Staaten in internationalen Verträgen verpflichtet haben, von denen der Entwicklungszusammenarbeit klar auseinanderzuhalten.» Genau dies fordert jedoch die OECD von ihren Mitgliederländern, darunter auch die Schweiz.
Mueller sieht trotzdem mögliche Szenarien: Zum Beispiel könnte ein DEZA-Projekt für die Förderung von Photovoltaik in ländlichen Regionen, das durch öffentliche Entwicklungsgelder finanziert wurde, nach Projektende vom BAFU für den Klimaschutz im Rahmen bilateraler Abkommen fortgeführt und skaliert werden. Auch technische Beratung, damit Partnerländer später überhaupt CO2-Zertifikate ausstellen können, wäre denkbar. Und schliesslich könnten CO2-Kompensationen auch genutzt werden, um zum Beispiel Bäuerinnen und Bauern in DEZA-Partnerländern, die ihre Landbewirtschaftung im Sinne des Klimaschutzes angepasst haben, eine zusätzliche Einkommensquelle zu eröffnen. «Aus einer Entwicklungsperspektive wäre dies durchaus interessant», sagt Müller. «Aber die Berechnungen von CO2-Einsparungen bleiben bei solchen Projekten mit sehr viel Unsicherheiten behaftet.»
Für David Knecht von Fastenaktion sind Klimakompensationen mittlerweile ein Auslaufmodell. Dies obschon das Kochofenprojekt in Kenia heute über die CO2-Zertifikate selbsttragend ist. «Spätestens ab 2025 stellen wir komplett auf die Klimafinanzierung um.» Das heisst Private oder Unternehmen, die in verbesserte Öfen in Kenia investieren, können sich die eingesparten Emissionen nicht mehr gutschreiben lassen. Sie können lediglich ausweisen, dass sie in einem Partnerland zur Reduktion von Treibhausgasen beigetragen haben. Auch damit lasse sich zeigen, dass ein Unternehmen oder eine Gemeinde klimapolitisch Verantwortung trage, ist Knecht überzeugt. Und gleichzeitig schnappe man damit den Partnerländern nicht die besten Möglichkeiten weg, ihre eigenen nationalen Emissionen zu reduzieren.
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