Myanmar: wachsam bleiben, innovativ sein und Lösungen finden
Lucas Riegger ist Agrarwissenschaftler und hat in so unterschiedlichen Ländern wie Angola und der Türkei gearbeitet. Seit Oktober 2022 ist er in Myanmar als Leiter Direktaktion und als Programmverantwortlicher für die Stärkung ethnischer Institutionen zuständig. Er beschreibt seinen Alltag, so alltäglich wie ein Tag seit dem Militärputsch im Jahr 2021 sein kann.
«Ich stehe um 7 Uhr auf und füttere die Queen of All Things, eine Strassenkatze, die wir in der Türkei adoptiert haben. Trotz der immer schwierigeren Versorgungslage in Yangon findet man nach wie vor sehr gute Croissants und Brioches zum Frühstück. Meine Frau fährt kurz vor 8 Uhr zur nahe gelegenen Internationalen Französischen Schule, während ich noch Analysen und Berichte lese, bevor ich ins Büro gehe. Mit dem Velo sind es zwölf Minuten. Ich fahre durch üppige Parks und von Eichhörnchen bewohnte Alleen, ich höre Vogelgezwitscher, schaue riesigen Schmetterlingen nach, die über die Strasse flattern, und bewundere die saisonale Blütenpracht. Im Vergleich zu den viel urbaneren Städten in der Region wirkt Yangon wie eine Dschungelstadt. Die Bäume wachsen ungehindert und ihre Baumkronen überragen die meisten Gebäude.
Wir sind ein zehnköpfiges Team von Projektverantwortlichen aus den Fachbereichen Ingenieurwesen oder Fazilitation. Wir setzen uns für eine bessere Grundversorgung gefährdeter Gemeinschaften in ausgewählten, ethnisch kontrollierten Gebieten in Myanmar ein. Für unsere Arbeit spielen Informationen aus dem Feld und die Abstimmung mit anderen Botschaftsprogrammen eine zentrale Rolle. Das ist natürlich eine sehr interessante Aufgabe.
Die Lage vor Ort ist komplex. Myanmar schaut auf eine vielfältige Geschichte zurück und verfügt über ein grosses materielles und immaterielles Kulturerbe. Ich bin nicht zum ersten Mal in diesem Land. Von 2007 bis 2008 war ich als «Secondee» beim WFP bereits einmal in Myanmar. Meine Frau war damals für die IOM dort. Wir haben 2007 die Safran-Revolution und 2008 den Zyklon Nargis erlebt. Gross war die Freude, als ich 2022 nach Myanmar zurückkehrte, unbeschreiblich das grosse Engagement meiner Kolleginnen und Kollegen.
Ich bin besonders stolz darauf, dass die Schweiz das einzige Geberland ist, das sich mit «Hardware» beschäftigt: Wir sanieren Spitäler und Schulen.
"Bei der Direktaktion geht es in erster Linie um die Sanierung von Schulen und die fachliche Unterstützung des Bildungsministeriums. Nicht nur die Schweiz, sondern auch andere gleichgesinnte Geber hatten nach dem Putsch die Unterstützung staatlicher Institutionen eingestellt. Im Rahmen der Direktaktion konzentrieren wir uns nun auf die Stärkung der Bereitstellung von Grunddienstleistungen durch die ethnischen Gruppierungen. Ich bin besonders stolz darauf, dass die Schweiz das einzige Geberland ist, das sich mit «Hardware» beschäftigt: Wir sanieren Spitäler und Schulen. Jedes Gebäude ist aufgrund seiner spezifischen Bedürfnisse eingerichtet und verfügt über ein einzigartiges Design. Unsere Ingenieure achten auf lokale Baustoffe, um Nachhaltigkeit und Wartung sicherzustellen.
Wenn die Zeit reicht, fahre ich am Mittag mit dem Velo zu einem nahegelegenen Bistro. Dort gibt es thailändische und indische Gerichte, aber auch vegetarische Hamburger.
Ich mache sechs bis sieben Feldbesuche pro Jahr, mehr wären mir lieber. Für Dienstreisen von ausländischen Mitarbeitenden braucht es eine Reisegenehmigung vom Aussenministerium, was bis zu vier Wochen dauern kann. Meine einheimischen Kolleginnen und Kollegen, die sehr mutig und kompetent sind, können Projektanliegen effizienter lösen als ich, weil sie keine Sprachbarrieren überwinden müssen. Die Sprache Myanmars ist wunderschön, aber so vielschichtig wie der Kontext des Landes selber.
Die Arbeit in diesem Land ist mit Herausforderungen verbunden. Kontinuität und Sicherheit sind der Schlüssel zur Bewältigung vieler Probleme. Die Konfliktgebiete und die Erlasse der Militärjunta müssen ständig überwacht werden. Was mir an dieser Arbeit besonders gefällt? Man muss stets wachsam bleiben, innovativ sein und Lösungen finden. Vor jeder Entscheidung muss man sich in sehr kurzer Zeit mit möglichst vielen Stakeholdern austauschen.
Ich werde nach diesem Einsatz die stets zuvorkommende und sanfte Art der Menschen in Myanmar vermissen. Trotz der verworrenen Lage bleiben sie immer freundlich. Die Entwicklungen nach dem Putsch haben gezeigt, dass sie auch entschlossen und kämpferisch auftreten können.
Mein Arbeitstag endet gewöhnlich gegen 18 Uhr. Die Heimfahrt mit dem Velo ist ganz anders: Es wird schon dunkel, es ist Rushhour und schlecht eingestellte Dieselmotoren rattern.
Wer zuerst nach Hause kommt, füttert die Queen of All Things."
Kontakt
Eichenweg 5
3003 Bern